Seit langer Zeit habe ich es mir abgewöhnt an Zufälle zu glauben. Sonst wäre es in der Tat ein solcher geworden, als mich NEEWER vor einiger Zeit gebeten hat ihr neues Blitzflagschiff zu testen. Das kam wie gerufen, denn seit vielen Monaten versagte meine sonst so zuverlässige Godox-Ausrüstung immer häufiger bei meinen Fotoshootings oder die Blitzgeräte bedienten sich an der Akkuleistung in einer unverhältnismäßigen Weise.
Ich war zunächst recht skeptisch, zumal ich 400 Wattsekunden bislang nie benötigte. Und der Umstand, dass das Gerät „nur“ mit Sony, Nikon und Canon Kameras über den NEEWER Sender ansteuerbar ist, erzeugt bei mir als reiner Panasonic-Anwender ein ausgeprägtes Naserümpfen.
DESIGN UND HAPTIK
Als Grafiker arbeite ich nach dem Prinzip „form follows function“. Als der Q4 bei mir ankam, bekam ich ein wenig die Identitätskrise diesbezüglich, denn die Form eines halben Quaders mit schlichtem Handgriff statt des üblichen, langgestreckten Blitzkörpers ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. NEEWER hat hier sogar einen Designpreis eingeheimst – das erschloss sich mir zunächst nicht.
Worüber ich aber sofort positiv überrascht war: die verzögerungsfreie Kopplung des Senders mit dem Q4 – kein fummeliges Menü, keine Notwendigkeit eines langwierigen Bekanntschaftsschließens wie beim ersten Date. Hier bekommt das Wort Speed-Dating eine ganz neue Bedeutung. Die Menüstruktur, Tasten und Aufbau der Bedienfelder erinnern stark an Godox, in manchen Bereichen gleichen sie sich sogar. Wer bislang mit Godox gearbeitet hat, wird sofort abgeholt. Man könnte jetzt die Frage stellen wer von den beiden Herstellern da von wem abgeschaut oder gar kopiert hat – für mich als Anwender ist diese Frage irrelevant, mir ist nur wichtig mich schnell mit den Gerätschaften zurecht zu finden.
Ein wichtiges Highlight ist der Bowens-Anschluss. NEEWER hat seinem Paket zwar zwei Lichtformer beigelegt, jedoch hätte ich auch jeden anderen Lichtformer aus meinem Bestand an den Q4 anbringen können. In all den Jahren sammelt sich so einiges an Lichtformern an, diese passen problemlos an das Bajonett. Hier ist Godox leider weitaus weniger flexibel – meist muss man häufig über eine Adapterlösung arbeiten und das eigene Godox-Mount ist mit Bowens logischerweise inkompatibel.Um fair zu bleiben: das gilt nur für die großen Portys, bei den Aufsteckblitzen muss ich auch bei NEEWER mit Adaptern arbeiten.
Hinzu kommt noch ein 30W Einstell-Licht, das zunächst wie ein nettes, aber eher praxisuntaugliches Goodie aussieht (Outdoor kann man auch mit voller Leistung keine Lichteinstellung damit vorab prüfen), stellte sich später als unverzichtbarer Lebensretter bei einem meiner Testshootings heraus.
Ebenfalls lernte ich das quadratische Designs des Q4 als deutlich geeigneter im Praxiseinsatz kennen, denn die Bedientasten liegen weitaus erreichbarer und differenzierter auf dem rückwärtigen Panel als bei dem Wettbewerb und der Blitz lässt sich besser tragen und auf das Stativ setzen. Man bekommt ein Gefühl von Wertigkeit und Anwenderfreundlichkeit.
FAZIT DESIGN UND HAPTIK
+ Wertiges, durchdachtes Design
+ Einfache Bedienung (wenn man zuvor mit Godox gearbeitet hat)
+ Bowens-Bajonett eröffnet 95% Verfügbarkeit von gängigen Lichtformern
+ Einstell-Licht lässt sich auch als Primärlichtquelle verwenden
- Nur mit Sony, Nikon und Canon ansteuerbar (Stand 01/2024)
- Gehäuse nicht wetter/wasserfest
DER Q4 IN DER PRAXIS
Wie eingangs erwähnt habe ich den Glauben an Zufälle verloren, denn praktischerweise musste ich meine Testshootings unter teils sehr widrigen Bedingungen durchführen, was vor allem eine Aufgabe für den Akku des Blitzes darstellt. Gerade die geringe Akkulaufzeit meines AD300 und des V860III war trotz fast identischer maH zum Akku des Q4 (2900 / 2800) ein Ärgernis.
ERSTES TESTSHOOTING
Die Lichtbedingungen waren sehr winterlich: grau, nasskalt und extrem kontrastarm. Ein bewegungsfreudiges Fitnessmodell „knackig“ zu fotografieren ist unter solchen Voraussetzungen nur mit viel Erfahrung in der Blitzfotografie möglich. Zu meiner Freude konnte ich in schneller Blitzfolge weit über 500 Fotos schießen - anfänglich mit bangem Blick auf die Akkuanzeige – doch die Batterie schien sich von den 1° Außentemperatur und kontinuierlicher Abgabe von 1/16 - 1/8 der Blitzleistung nicht außer Puste bringen zu lassen. Am Ende des Shootings waren noch ¾ der Akkuleistung verfügbar. Hier muss man aber dazu sagen, dass ich mit der NEEWER 24 Zoll Octabox gearbeitet habe, die man ohne Diffusorbespannung auch als Beautydish einsetzen kann, was deutlich weniger Lichtenergie schluckt. Bei einem Achtel der 400 Wattsekunden im HSS Modus muss der Blitz aber ganz schön arbeiten für 500 Fotos. Insbesondere wenn ich Blitzfolgen unter einer Sekunde abrufen möchte – die sehr kurze Recyclingzeit ist beeindruckend.
ZWEITES TESTSHOOTING
Erfahrene Peoplefotografen wissen: es ist alles mehr oder weniger machbar, Kälte, Hitze oder Wind, jedoch nicht Regen. Letzterer begann mit Nieselregen und steigerte sich dann in Dauerregen, der Killer für jedes Fotoshooting. Im Wissen, dass der Q4 nicht spritzwassergeschützt ist, musste ich mir mit einer Tüte behelfen, die ich über das Gerät stülpte. Da ich die allermeisten Funktionen über den Sender an der Kamera ansteuern kann, war diese unschöne Lösung jedoch aber kein Hindernis den NEEWER weiterhin einsetzen zu können. Die mitgelieferte parabolische Softbox ermöglichte mit der Doppeldiffusorbespannung weiches Licht, um so wenig wie möglich Regentropfen sichtbar zu machen. Jedoch machten die Himmelsgüsse jeden weiteren Test unmöglich und die Licht- und Temperaturbedingungen waren mit dem ersten Shooting weitestgehend identisch, so dass ein Abbruch drohte. Glücklicherweise erlaubte uns der Besitzer einer sich auf dem Gelände befindlichen Kartbahn (https://www.indykart.de) das Shooting in seinen Hallen fortzusetzen.
Aus dem Outdoorshooting wurde plötzlich ein Indoorshooting unter Bedingungen, die einen Blitz praktisch obsolet machen: düsteres Interieur, Kunstlicht, LED-Lampen und LED-Anzeigen – hier sollte man möglichst mit Available Light arbeiten, denn der Blitz zerstört die Lichtstimmung selbst bei niedrigster Leistung. Eine Möglichkeit wäre noch gewesen mit langen Verschlusszeiten zu arbeiten und den Blitz zum „Einfrieren“ des Motivs zu nutzen, jedoch führt dies erfahrungsgemäß zu Verwacklungen, Geisterbildern und einem gestressten Modell, das ständig in ihrer Pose ungewohnt still verharren muss.
Das Einstell-Licht des Q4 wurde hier zum Helden des Tages. Ich war mit der 30 Watt LED Lampe in der Lage meine Modelle problemlos auszuleuchten, natürlich ohne Lichtformer, um die volle Helligkeit abzurufen und sich den harten Lichtquellen in der Halle anzupassen, damit die Ergebnisse glaubhaft aussehen. Die CRI 95+ und die konstanten 5600° K brachten den AWB meiner Kamera damit auch nie durcheinander. Auch bei diesem Fotoshooting wollte der Akku nie seinen leeren Flaschenboden zeigen. Allein das Wissen, dass der Q4 vor dem Shooting in der Kartbahn schon seinen Dienst tat und danach über längere Zeit bei voller Leistung LED-Licht abgeben musste, beeindruckte mich erneut und stellt sich als großes Plus des NEEWERS heraus. Was man aber wissen sollte und was ich jedem Fotografen empfehle: konsequentes Abschalten der Lampe und auch des Blitzgeräts habe ich mir seit Jahren angewöhnt, dies gilt auch für meine Fotokamera. Meine Gerätschaften sind während den Shootingpausen, ja selbst zwischen einem Set immer ausgeschaltet. Das spart enorm an Batterieleistung.
DRITTES TESTSHOOTING
Auch wenn die Lichtbedingungen dieses Mal (endlich) besser waren: das Thermometer zeigte zwischen -8° und -10° - ein echter Härtetest für alle Beteiligten, insbesondere der blitzenden Gesellen. Bei solchen Temperaturen muss man zügig arbeiten, um ein Durchfrieren des Modells zu vermeiden. Hier war die Haptik des Q4 wieder von Vorteil: Tasten, die ich mit dem Handschuh drücken kann, das simple Bowens-Bajonett und die intuitive Bedienung, die ich seit Jahren aus dem FF beherrsche. Bei schräg stehender Sonne war es auch endlich einmal möglich den Blitz in den Bereich der halben oder vollen Leistung zu bringen – HSS mit 1/8000 bei Gegenlicht ist die Königsdisziplin und wurde vom Q4 problemlos gemeistert. Die Recyclingzeiten jedoch waren definitiv länger – erwartungsgemäß. Auch der Multi-Modus kam zum Einsatz: schnelle Blitzserien, die bei kurzen Verschlusszeiten das Modell beim Hüpfen beleuchten: hält die Füße und Laune warm.
Das Einzige, was mir negativ auffiel: nähert man sich dem Q4 auf 50-80cm, löst er meist nicht aus. Knappe Abstände zum Blitz sollte man im Menü mit der „Nahbereich“ Funktion ermögliche können, jedoch verweigerte der NEEWER auch damit seinen Dienst, eventuell ist er ja in seinen jungen Jahren noch kamerascheu.
FAZIT PRAXIS:
+ Sehr ausdauernder Akku und damit budgetfreundlich
+ Niedrige Temperaturen führen nicht zum Leistungseinbruch
+ Sehr schnelle Recyclingzeiten
+ Sicheres Auslösen, wenige bis keine Blitzfails
+ Effiziente Haptik
+ Einstell-Licht kann als Hauptlicht verwendet werden
- In unmittelbarer Nähe zum Blitz häufig Blitzfails
- Nahbereichsmodus ineffektiv
FAZIT
Auch wenn ich in meinem Test den TTL-Modus nicht ausprobiert und den Blitz nicht unter hohen Temperaturen und bei voller Leistung getestet habe, erlaube ich mir ein sehr positives Urteil über die Performance.
Die Frage ist ob es Sinn macht, die vollen 400Ws Leistung als Kriterium dabei anzusetzen. Erstens ist es höchstwahrscheinlich, dass der Anwender den Blitz in den meisten Fällen bei mittlerer bis unterer Leistung einsetzt und zweitens muss man sich überlegen, wann einmal tatsächlich die 1/1 auf dem Display steht. Das Leistungslimit setzt hier nicht der Blitz, sondern meist die Kamera. Bei Gegenlicht (schrägstehende Sonne oder High Noon Fotos) gilt es erst einmal eine Überbelichtung zu vermeiden. Erfahrungsgemäß ist selbst bei 1/8000 und reduzierter Blendenöffnung noch viel zu viel Licht vorhanden oder die Szenerie wirkt „zugeblitzt“ und damit unnatürlich. Für mich und meinen Anwendungsbereich sind die 400Ws eigentlich eher ein Nachteil, denn die niedrigste Leistungsstufe kann immer noch zu viel sein, was die Erfahrung auf der Kartbahn gezeigt hat. Viel wichtiger ist da über ein leistungsfähiges Einstell-Licht verfügen zu können, das aus dem Q4 eine praxistaugliche Blitz-Dauerlichtkombination macht.
Der Akku hat enorme Leistungsreserven, die Bedienung ist schlüssig und unkompliziert – allein das sofortige Koppeln von Sender und Q4, ohne dafür fummelige Menüs ansteuern zu müssen, ist ein großer Vorteil. Das Aufladen des Akkus dauert seine 3,5 – 4h, da sollte man Zeit dafür einplanen, dies auf anderthalb Stunden zu optimieren – daran beißen sich auch andere Herstellen bislang die Ingenieurszähne aus.
Vielleicht eines der attraktivsten Vorzüge ist der Preis. NEEWER ist bekannt für eine gute Preis-/Leistungspolitik und das spürt man auch beim Q4. Für aktuell 480 Euro bekommt man sehr viel für sein Geld, das ist bei den Wettbewerbern leider anders.
Apropos Preis: die Kosten für Austauschteile, den Sender, einen eventuellen Zweitakku und geeignete Lichtformer sollte man mitberechnen. Hier wird das Ganze dann nicht mehr so preisgünstig. Allein ein Zweitakku kostet aktuell 170 Euro. Bei der Ausdauer der Batterie ist jedoch die Frage, ob man einen Zweiten überhaupt benötigt.
Kritisch zu erwähnen ist der Ausfall der Ansteuerung des Q4 im Nahbereich. Hier sollte NEEWER in der Firmware noch nacharbeiten. Dies ist beim fehlenden Spritzwasserschutz nicht möglich, dies sollte man bedenken, wenn die Tätigkeit des Fotografen häufig in feuchten Räumen oder bei nassen Bedingungen stattfindet.
Der vielleicht größte Kritikpunkt am Q4 ist die fehlende Kompatibilität zu Panasonic/Olympus. Da der Q4 im Dauerlichtmodus jedoch mit allen Kameras bedienbar ist, haben aktuell nur die Blitzfotografen das Nachsehen. Damit wird der NEEWER allerdings praktisch obsolet, zumal es für Dauerlichtprodukte auf dem Markt deutlich preiswertere Geräte gibt.
Ich kann den Q4 jedenfalls mit diesen Einschränkungen wärmstens empfehlen. Für Blitzfotografen ist das aktuell aus meiner Sicht ein Must-Have.
Ein umfangreiches Video Review zum NEEWER Q4 findet man hier:
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